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Abschlussbericht nach einer 2-jährigen ambulanten Suchttherapie

2 Jahren ambulante Suchttherapie - ein Patient berichtet:

 

„Moin nochmal

An dieser Rede schreibe ich schon seit einiger Zeit. Dabei sind einige Stunden draufgegangen um die richtige Wortwahl zu treffen und um meine Gedanken in Text umzusetzen. Ich hoffe sie wird nicht zu lang bzw. zu langweilig für euch. Immer wenn mir etwas einfiel schrieb ich etwas auf oder strich wieder etwas.  So, und nun zum Thema. Da meine Therapie für mich jetzt langsam zu Ende geht, will ich noch ein paar Worte sagen die mir wichtig sind und euch vielleicht zum Nachdenken anregen. Oder ihr könnt hieraus etwas für euch mitnehmen. Mir hat diese Zeit hier sehr gut getan, geholfen und mein Selbstbewusstsein gestärkt. Auch wenn es nicht immer einfach war, die bohrenden Fragen zu beantworten und ich mich des Öfteren dabei in die Ecke gedrängt gefühlt habe. „Was habe ich verändert? Wie habe ich es verändert“? Ich sage mal, das sich in meinem jetzigen Leben viel verändert, und „Ich“ mich verändert habe (z.B. ich muss auch mal „Nein“ können). Ich habe meinen Alkoholmissbrauch selber nicht in den Griff bekommen. Mir war das schon bewusst das ich Alkoholabhängig bin. Aber wer gibt das schon gerne zu. Es war daher keine Motivation vorhanden, Angstgefühle bestanden, die fehlende Einsicht bzw. das Große Schamgefühl haben mich davon abgehalten etwas für mich zu tun. Von meiner Familie, den wenigen Kumpels und meinen Arbeitskollegen hatte ich leider keine Hilfe und Verständnis für mein Suchtproblem. Im Gegenteil. Nur Vorwürfe und angeschnauzte. „Sauf nicht so viel“/ „Du bist doch schon wieder besoffen“ usw. Obwohl jeder wusste das ich gerne und öfters zu viel Alkohol trank. Außenstehende können die Suchtproblematik schlecht bzw. nicht beurteilen, dadurch fällt es ihnen schwer damit umzugehen.

Der gehörige Arschtritt um munter zu werden geschah dann auf einem Parkplatz (Schlafend im Auto mit über 3 Promille Atemalkohol). Polizei/ Führerschein Entzug und dann die ganzen Gerichtsverhandlungen die sich über 19 Monate hingezogen haben. Zu meinem Glück 2-mal Freispruch aus Mangel an Beweisen. Ich bin da „nicht“ Stolz drauf. Das könnt ihr mir glauben! Aber lieber im Auto schlafen, als eventuell einen schweren Unfall verursachen. Möchte da gar nicht drüber nachdenken. Aber in der nachfolgenden Zeit ging es mir nicht gut.  Es hat mich sehr beschäftigt. Mir sind ständig sämtliche Sachen und Gedanken durch den Kopf gegangen. (Wie geht’s weiter/ Führerschein? / Job/Familie/Verlustängste/Finanzielle Nöte/usw.) Zeitweilige Schlafprobleme waren damit auch noch verbunden. Ich hatte damit meiner Psyche mächtig zu kämpfen. Und das hat mich einfach nicht zur Ruhe kommen lassen. Es war ein sehr schwerer Zeitabschnitt für mich. Das hat mich sehr belastet, obwohl ich das nach außen nicht so gezeigt habe. Auch meiner Familie nicht. Seit einiger Zeit ist es privat eh ein bisschen schwierig. Zum Glück habe ich ein größeres Grundstück, wo ich mich mit Arbeit ablenken kann.  Und das tut mir gut. Naja, da ich so um die 35 Jahre mehr oder weniger viel Alkohol getrunken habe, hat sich diese Sucht und Abhängigkeit bei mir stark Ausgebildet. Auch meiner Gesundheit habe ich dadurch nichts Gutes getan. Im Gegenteil. Durch meine Sucht bzw. meinen Alkoholmissbrauch hatte ich auch vorher schon immer mal den Wendepunkt aufgesucht und um Beratung und Einzelgespräche gebeten (damaligen Führerschein Entzug). Also ich habe Hilfe in Anspruch genommen. Aber im Endeffekt nicht konsequent durchgezogen. Sprich eine bzw. keine Therapie gemacht. Obwohl mir hier alles angeboten wurde. Dadurch habe ich den Absprung damals auch nach ca. 2,5 Jahren Abstinenz nicht geschafft (mit Ansage „Ach ein Bier geht schon“). Mittlerweile weiß ich, das funktioniert nicht. Jetzt sind es Mittlerweile wieder knapp 2 Jahre ohne Suchtmittel. Weder Alkohol, Alkoholähnliche oder Alkoholfreie Getränke sprich Bier Wein Sekt etc. Darauf bin ich sehr stolz. Und ich hoffe das bleibt für immer so und ich bin immer stark genug um nicht wieder zur „Flasche“ zu greifen. Und deshalb möchte ich mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier im Wendepunkt und bei all meinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in diesen Sitzungen aller herzlichst bedanken. Schließlich sitzen wir Suchtkranken hier alle im gleichen Boot, und haben uns gegenseitig unterstützt. Ihr wart mir eine große Hilfe und Stütze. Ich hoffe doch, das vereinzelte Kontakte und Freundschaften die sich hieraus entwickelt oder gebildet haben nicht einschlafen und wir in Kontakt bleiben und eventuelle Treffen stattfinden (z.B. Angeln, Kaffee trinken). Ich werde mich weiterhin um meine Suchtproblematik kümmern und weiterhin mit dem Wendepunkt im Kontakt bleiben so wie es meine Montagetätigkeit zulässt (Nachsorge/ Selbsthilfegruppe/ Telefonate/ Gesprächstermine). Für mich ist es sehr wichtig dieses Thema immer etwas aktuell zu halten, um nicht wieder in alte Muster zu verfallen („Aus den Augen, aus dem Sinn“). Ich werde mir Strategien erarbeiten um anfallende Probleme besser zu meistern. Welche das sind ergibt sich dann aus der jeweiligen Situation (z.B. Gespräche mit engen Vertrauten). Nun zum Job. Meine Firma ist diesbezüglich auch sehr Kulant und wird mir diesen Freiraum geben oder geben müssen. Schließlich haben sie auch etwas davon! Langer steiniger Weg. Auch nach 2 Jahren Abstinenz ist noch lange nicht alles gut!

Um nun zum Schluss zu kommen, wünsche ich allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern einen sehr starken Willen, um Suchtmittel frei zu bleiben. Obwohl das nicht jedem gelingen wird. Das ist einfach so. Ich wünsche das niemanden, weil da die ganzen Probleme (Scheiße) wieder von vorne losgeht und sich die daraus folgenden Situationen weiter verschlechtern können. „Auch mich“, kann es genauso treffen einen Rückfall zu erleiden. Ich spreche aus Erfahrung. Und Statistiken sprechen auch für sich. Ich möchte nicht wieder in so ein Loch fallen! Naja, den einen oder anderen habe ich vermutlich etwas aus der Seele gesprochen. Nehmt die Sache ernst! Gebt euch selber die Zeit. Es dauert. Die Zeit wird es auch brauchen. Wir sind hier auf dem richtigen Weg. Was jeder einzelne von euch daraus macht liegt natürlich an jeden selber. Denn nur „ihr selber“ habt es in der Hand etwas an eurem Verhalten zu ändern oder zu verändern. Auch Durchhaltevermögen ist ein sehr wichtiger Aspekt. Macht was draus. Die Chancen stehen gut! Schafft euch Hobbys an oder ähnliches. Z.B.: macht Sachen die ihr eventuell schon lange vorhattet oder die euch Spaß bereiten werden usw. Es gibt viele Möglichkeiten. Und nun zum Schluss. Ich hoffe ihr seid bis jetzt gut mit mir ausgekommen und ich war nicht allzu schwierig oder anstrengend. In diesem Sinne wünsche ich euch alles Gute und bleibt gesund.  Schaut positiv nach vorn. Das wird mithelfen. Ich hätte vor 1 1/2 Jahren von mir auch nie gedacht, dass ich mich mal hinsetzte und Stundenlang an einer Rede schreibe. Aber es ist befreiend für mich. Eine gewisse Last fällt ab. Also........ eine „Veränderung“ hat in mir stattgefunden und ich gehe gestärkt hier raus.

Euer Silvio (53 Jahre)“

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